Am 24.08.23 wurde ein Artikel von mir über meinen Japanaufenthalt in unserer regionalen Wochenzeitung Rheingau-Echo veröffentlicht.
Drei Monate in Japan
Ich sitze im Flugzeug auf dem Weg zurück nach Deutschland.
Gerade fliegen wir über die eisige Landschaft Grönlands im strahlenden Sonnenschein. Diese Schönheit lässt mich an jene Schönheit denken, die ich in den letzten drei Monaten erlebt habe. Dreieinhalb Jahre war ich wegen der Corona-Pandemie nicht in Japan gewesen und jetzt liegt eine wunderschöne Zeit voller neuer Erlebnisse, Begegnungen und Erinnerungen hinter mir.
Auf dem Hinflug lernte ich im Flugzeug eine freundliche Japanerin kennen, die gerade ihren Sohn in Deutschland besucht hatte. Der Sohn ist ein paar Jahre jünger als ich und liebt Deutschland so wie ich Japan. Ich dachte an meine Eltern und Großeltern, die über meine mehrjährigen Japanaufenthalte wohl ähnlich gefühlt haben wie diese Fremde. Es war ihre erste Reise ins Ausland und da sie keine Fremdsprache sprach, half ich ihr, im Flugzeug Getränke zu bestellen.
Als ich in Yokohama ankam, war der Himmel zwar blau – so wie fast immer im Winter – aber die Bäume noch kahl. Ich war froh, meine Daunenjacke mitgebracht zu haben, denn der Februar war noch kälter als der Dezember.
Meine Arbeit in Japan
Dieser Aufenthalt diente, außer meinem eigenen Vergnügen, meiner Arbeit sowie meiner eigenen Fortbildung. Die ersten Wochen verbrachte ich damit, mich an die neue Umgebung zu gewöhnen sowie mir einen guten Arbeitsplatz einzurichten. Da ich in den Semesterferien gekommen war, in denen der Präsenzunterricht an der Hochschule sowieso nicht stattfindet, konnte ich von Japan aus wie gewohnt weiter unterrichten. Auch für Übersetzungsarbeiten stellte der Ortswechsel kein Hindernis dar. Im Gegenteil war ich, gesegnet mit exzellentem WLAN, in Japan fast besser technisch ausgestattet als in Deutschland. Ich hatte auch den Eindruck, dass viele Schüler und Schülerinnen durch meinen eigenen Aufenthalt in Japan noch zusätzlich inspiriert und motiviert wurden.
Besuche in der Sprachschule
Parallel zur Arbeit nahm ich in einer Sprachschule Einzelunterricht, um mein eigenes Japanisch-Level weiter zu verbessern. Meine Lehrerin bezweifelte, ob ich überhaupt noch Unterricht bräuchte, aber ich denke, dass es immer noch etwas zu lernen gibt. Dreimal die Woche fuhr ich zwanzig Minuten mit dem Fahrrad am Fluss entlang zur Sprachschule, um jeweils eine Stunde Unterricht zu nehmen. Erwartungsgemäß konnte ich vieles lernen und außerdem hatte ich großen Spaß.
Töpfern in Tsurumi
Als es langsam wärmer wurde und die Bäume zu knospen begannen, fing ich ein neues Hobby an. Ich hatte eine Töpferschule unweit meines Wohnorts gefunden und meldete mich zu einer Probestunde an. Ich hatte solch großen Spaß, dass ich jede Woche einen halben Tag lang im Töpferstudio verbrachte. Zunächst töpferte ich zwei Matcha-Schalen und dann auch noch einige Tassen, Schüsseln und Teller. Der Töpfer und die Töpferin nahmen mich mit offenen Armen in ihren Unterricht auf und auch mit den anderen Teilnehmenden verstand ich mich auf Anhieb gut. Da ich keine Sprachbarriere mehr habe, entstanden schöne Gespräche über Japan und Deutschland aber auch über alle möglichen anderen Themen. Ich fühlte mich dort sehr willkommen.
Auf dem Fahrrad unterwegs durch die Stadt
Aufgrund der Zeitverschiebung zwischen Japan und Deutschland fand der Großteil meines Japanischunterrichts nachmittags oder abends statt. Vormittags hatte ich demnach meistens frei und ich nutzte die Zeit, um mit meinem Fahrrad die Gegend zu erkunden. Ich entdeckte Tempel, Schreine und Parks, aber auch Einkaufszentren, Cafés und Geschäfte aller Art. Ich entdeckte schöne Orte am Fluss und in der Kirschblütenzeit dann die schönsten Bäume für Hanami.
Hanami und die einzigartigen Kirschblüten Japans
Hanami ist das Betrachten und die Würdigung der Schönheit der Kirschblüten. Man geht gemeinsam in Parks, flaniert mit Blick auf die Blüten oder macht ein Picknick unter der rosafarbenen Pracht. Dreimal habe ich tatsächlich ganz bewusst Hanami gemacht – zweimal mit Freundinnen zum Picknick und einmal zum Ruderboot-Fahren auf einem kleinen See umgeben von blühenden Kirschbäumen. Die Kirschblütenzeit in Japan ist wie ein Traum. Die Bäume säumen Alleen oder Flüsse. Sie wurden liebevoll in großer Zahl gepflanzt, von Menschen längst vergangenger Generationen. Ich fuhr mit dem Fahrrad durch Blütentunnel und schaute nach oben, wo ich nur rosa Blüten sah. Nur hier und dort blitzte das Blau des Himmels hervor. Es war wirklich schöner, als ich je beschreiben könnte.
Die Kirschblütenzeit ist die Zeit des Anfangs in Japan. Gemeinsam mit den Pflanzen, die im Frühling aus dem Winterschlaf erwachen und wieder anfangen zu blühen, startet das japanische Geschäftsjahr am ersten April. Der Beginn des Schuljahrs ist ebenfalls im April und für viele Japaner und Japanerinnen ist der Frühling die Zeit des Aufbruchs und des Neubeginns. Welch schöne Zeit, die ich während meiner drei Monate hier miterleben durfte.
Menschliche Interaktionen
Während meines ersten Aufenthalts in Japan hatte ich mich dazu entschieden Japanisch zu lernen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Außer mit der freundlichen Fremden im Flugzeug gab es noch ein paar andere schöne Begegnungen, die ich hier festhalten möchte.
Die Wächter des Fahrradparkplatzes
Angekommen in Japan, kaufte ich mir alsbald ein Fahrrad. Außer des Linksverkehrs gab es noch ein paar andere Dinge beim Fahrradfahren zu beachten. Beispielsweise werden die Fahrräder keinesfalls auf der Straße, sondern auf speziellen Fahrradparkplätzen abgestellt, die teilweise ganze Parkhäuser umfassen. Je nach Fahrradparkplatz funktioniert das Abstellen und Bezahlen anders. An meinem ersten Tag auf dem Fahrrad in Japan wollte ich es auf dem Parkplatz am Bahnhof Tsunashima abstellen. Trotz diverser Schilder mit unterschiedlichen Optionen verstand ich das System nicht. Ich sprach also den älteren Herrn in einem kleinen kastenartigen Büro am Eingang an, der mich höflich auf die andere Seite schickte, auf der die Fahrräder ohne Monatsabo abgestellt werden. Auf der anderen Seite befand sich wieder ein kleines kastenartiges Büro mit einem weiteren älteren Herrn darin. Als ich ihn fragte, kam er aus seinem Büro hervor und erklärte mir freundlich das System (Ticket am Automaten ziehen, mit dem bereitgestellten Tacker am Fahrrad anheften, abstellen) und lief anschließend mit mir noch durch das gesamte rappelvolle Parkhaus, um einen guten Platz für mich zu finden.
Die Buchempfehlung eines Fremden
Ziemlich gegen Ende meines Aufenthalts besuchte ich einen Buchladen am Bahnhof Tsurumi in der Nähe meiner Sprachschule. Hier hatte ich mich bereits unzählige Male aufgehalten und dieses Mal wollte ich nach interessanten Büchern schauen, um sie mit nach Deutschland zu nehmen. Vor dem Regal der japanischen Autoren sprach mich ein Herr mit Gitarre auf dem Rücken auf Englisch an, ob ich eine Übersetzung benötigte. Ich bedankte mich und sagte ihm, ich könne Japanisch sprechen. „Wenn das so ist…“, antwortete er auf Japanisch und verschwand. Ich hörte ein paar Reihen weiter, wie er einen Mitarbeiter nach einem Buch fragte. Fünf Minuten später kam er wieder und hielt mir ein Buch vor die Nase. „Hier, das empfehle ich dir. Aber du musst es auch nicht lesen – nur wenn es dich interessiert.“ Ich nahm das Buch in Empfang und schon war der Mann wieder verschwunden. Ich rief ihm einen Dank hinterher und er hob nur lässig die linke Hand. Ich las den Klappentext, der mich sehr berührte. Ich wollte noch einmal mit dem Mann sprechen und ihn fragen, was ihn dazu bewogen hatte, mir dieses Buch zu empfehlen oder mich überhaupt anzusprechen. Aber er war nirgendwo mehr aufzufinden. Das Buch habe ich schließlich gekauft.
Kimono-Spaziergang mit Komplimenten
Im Töpferkurs lernte ich Sachiko kennen; eine ältere Dame, mit der ich einmal beim Hanami-Picknick war. Genau wie ich mag sie gerne Kimonos und an einem warmen Tag im April verabredeten wir uns zu einem Kimono-Spaziergang. Sachiko fragte drei Mittelstufenschülerinnen, ob sie ein Foto von uns machen könnten. Die drei kicherten verlegen und jedes der drei Mädchen machte ein paar Fotos, damit auch ja ein gutes dabei herauskommen würde. Als sie fertig waren, bedankten wir uns. Eines der Mädchen schaute mich schüchtern an und sagte: „Sie sehen so schön aus.“ Was für ein liebes Kompliment.
Von der freundlichen Fremden hatte ich mich bereits kurz nach der Landung noch im Flugzeug verabschiedet. Am Flughafen sahen wir uns aber zufällig noch zwei Mal wieder, woraufhin wir unsere Nummern austauschten. Sie heißt Shōko und ich habe sie während meines Aufenthalts zweimal getroffen. Einmal waren wir zusammen Kaffeetrinken und tauschten uns über alles mögliche aus und einmal zeigte sie mir ihre Nachbarschaft. Welch wunderbare Verbindungen entstehen können, wenn man rausgeht in die Welt.
Voller Dankbarkeit an die schöne Zeit, die ich erleben durfte und voller schöner Erinnerungen im Herzen sitze ich im Flugzeug. Die Aussicht ist nicht mehr so eisig, sondern bedeckt von fluffigen weißen Wolken, die in der Nachmittagssonne orangefarben schimmern. Hier über den Wolken ist der Himmel genauso wunderschön Blau wie in Japan unter den Kirschblüten.
Link zum Rheingau Echo:
https://www.rheingau-echo.de/nachrichten/region/rheingau/drei-monate-japan-id75014.html
Glückwunsch zur Veröffentlichung! Danke, dass du uns diesen wundervollen Text hier lesen lässt! 🙂
Liebe Pia, vielen Dank für deinen tollen Kommentar und deine anhaltende Unterstützung! Ich freue mich sehr 🙂
Auch von mir Glückwunsch zur Veröffentlichung 🍀
Ein toller Text, welcher mich total abgeholt hat und Lust auf mehr Japan macht.
Die Buchempfehlung eines Fremden hätte auch der Klappentext eines Buches sein können, ich hätte es gekauft 😃
Liebe Nadine, ich danke dir für deine tolle Rückmeldung. Dass du ein Buch mit dem Klappentext „Die Buchempfehlung eines Fremden“ gekauft hättest, motiviert mich noch zusätzlich zum Schreiben! 🙂
Wow was für ein toller Text. Das macht sofort Lust los zu reisen und Japan zu erkunden. Das klingt alles so spannend. Wenn ich deine Texte lese habe ich immer das Gefühl ich stehe in der Situation neben dir und erlebe es in diesem Moment mit. Wirklich toll.
Liebe Katharina, ich freue mich sehr, dass du einen Kommentar dagelassen hast. Ich schreibe sehr gerne und freue mich über deine tolle Rückmeldung 🙂