Im Land der aufgehenden Sonne

Am 12.01.23 wurde ein Artikel von mir über meinen Japanaufenthalt in unserer regionalen Wochenzeitung Rheingau-Echo veröffentlicht.

Im Land der aufgehenden Sonne
Fermentierte Sojabohnen und rosa Wolken

Ich erinnere mich noch genau, wie alle anderen Passagiere schliefen, während ich hellwach im Flugzeug saß. Zu aufgeregt, um auch nur ein Auge zuzutun, schob ich vorsichtig den Fensterladen nach oben und das pinke Licht der frühmorgentlichen Sonne drang sanft ins Innere des Flugzeugs. Der Mann neben mir wachte davon auf und wir begannen alsbald ein Gespräch. Er war Händler der großen japanischen Goldfische Koi und auf einer Geschäftsreise. Er riet mir, auf keinen Fall Natto, die klebrigen fermentierten Sojabohnen zu essen, die zum Frühstück serviert würden. „Die Japaner vertragen das, aber uns verklebt das den Magen.“ höre ich ihn immer noch sagen. Was er erzählte, schien mir so fremd, wie Teil einer anderen Welt, die ich noch nie gesehen hatte.
Das war 2015, auf dem Weg das erste Mal dieses wunderbare Land zu betreten: Japan.

Eine Seitenstraße im Stadtteil Shinjuku in Tokyo
Im Kimono

Mein erster Aufenthalt erstreckte sich über neun Monate vom Winter bis zum Ende des Sommers. Ich war für ein Praktikum im Rahmen meines Bachelorstudiums dort gelandet. Es fühlte sich an wie ein ferner Traum, der in greifbare Nähe gerückt war, denn geträumt von diesem Land hatte ich bereits seit meiner frühen Kindheit.
Ich wohnte in Tokyo in einer Wohngemeinschaft und fuhr jeden Tag eine Dreiviertelstunde mit den aus den Medien so bekannten vollen Zügen der Rush-Hour zu meiner Praktikumsstelle. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Arbeitseifer und das Verantwortungsgefühl meiner japanischen Kollegen, die Abends erst nach Hause gehen würden, wenn sie selbst fertig waren und auch niemand mehr anwesend war, dem sie unter die Arme greifen konnten. Ich habe mich damals gänzlich auf diese Welt eingelassen – mit Arbeit bis spät in die Nacht, ohne den letzten Zug zu verpassen, After-Work-Karaoke und Jahresanfangs-Feiern – und wurde belohnt mit vielen tollen Eindrücken und der Bekanntschaft von wunderbaren Menschen, mit denen ich bis heute in Kontakt stehe.

Im Anschluss an mein Praktikum folgte eine dreimonatige Reise, die ich im Norden auf der Insel Hokkaido startete und auf der südlichsten Inselgruppe Okinawa beendete. Durch die weite Nord-Süd-Ausdehnung gibt es in Japan mehrere Klimazonen – von Schnee ab Anfang Oktober ganz im Norden bis Kirschblütenschau im Januar ganz im Süden.
Es ist ein aufregendes Land mit Bergen auf Dreiviertel der Landesfläche und über 6000 Inseln, von denen circa 500 bewohnt sind. Überall im Land kann man dank der vulkanischen Aktivität heiße Bäder in Thermalquellen, den Onsen, genießen.

Das ländliche Japan
Unterwegs im japanischen Garten

Am Ende meiner Reise hatte ich viel gesehen und erlebt. Aber ich spürte, dass es eine Barriere gab, die mein Eintauchen in die japanische Kultur verhindere: Die Sprache.
In Japan lernt man in der Schule Englisch. Allerdings ist der Unterricht vor allem auf Textverständnis und -produktion ausgelegt und es wird kaum gesprochen. Deshalb sind sehr viele Japaner und Japanerinnen unsicher im Umgang mit der englischen Sprache. Auch wenn es für die alltäglichen Konversationen reichte, wusste ich, dass mir das Vordringen in eine tiefere Ebene verwehrt geblieben war.

Zurück in Deutschland und mit einer neuen Mission startete ich ein Jahr später mein Masterstudium Japanologie und japanische Sprache. Es war ein Doppelprogramm einer deutschen und einer japanische Universität, das einen einjährigen Japanaufenthalt beinhaltete. Dafür musste ich in eineinhalb Jahren so gut Japanisch lernen, dass ich im letzten Semester meine Masterarbeit auf Japanisch schreiben könnte.
Es versteht sich von selbst, dass das eine lernintensive Zeit war, in der ich jeden Tag mehrere Stunden mit Unterricht und Selbststudium verbrachte. Gleichzeitig belegte ich an der Universität verschiedene Vorlesungen, die mich nicht nur der Sprache, sondern auch der Kultur, Politik, Wirtschaft und der Geschichte des Landes näherbrachten. Jeder Tag war mit der Vorfreude erfüllt, dass ich bald wieder nach Japan kann – und dieses Mal würde ich sprechen und verstehen können.
Genauso war es auch. Anfang 2018, im Flugzeug auf dem Weg zu meinem zweiten Aufenthalt, bewunderte ich schlaflos abermals die rosa Wolken. Dieses Mal sprach ich; ich verstand, ich las und ich schrieb Japanisch, aber vor allem waren meine Wochentage mit Lernen gefüllt. Die Wochenenden verbrachte ich so oft es ging außerhalb von Tokyo in der Natur, denn die hat es mir besonders angetan. Gerade auf dem Land kann ich ein Japan erleben, das genau so ist, wie ich es mir als Kind vorgestellt hatte. Mit Schreinen und Tempeln, mit Reisfeldern soweit das Auge reicht, mit Bergen und glasklaren Flüssen. Und mit freundlichen Menschen, deren Geschichten ich erfahren kann. Als Höhepunkt bestieg ich in den Semesterferien im Sommer den heiligen Vulkan Fuji, den höchsten Berg des Landes.
Nach einem Jahr kehrte ich zurück nach Deutschland mit viel Arbeit im Gepäck – der großen Aufgabe, meine Masterarbeit fertigzustellen. Ich graduierte im Herbst 2019 und reiste für die Abschlussfeier an der Universität ein weiteres Mal nach Japan. Ich erinnere mich noch gut an das überwältigte Gefühl der Freude, das ich verspürte, als mir mein Zeugnis übergeben wurde.

Müde und glücklich auf dem Gipfel des Berges Fuji
Der berühmte Berg Fuji

Zu einem solchen großen Abenteuer gehören sicherlich Neugier und Mut. Ich bin froh und dankbar für die Chancen und stolz darauf, sie ergriffen zu haben.
Auch die fermentierten Sojabohnen habe ich natürlich probiert und mittlerweile kann ich sagen, dass sie zu einer meiner Leibspeisen geworden sind.

Vielleicht fragen Sie sich noch, was man mit einem so außergewöhnlichen Studium dann eigentlich machen kann. Mittlerweile bin ich hauptberuflich als Japanischlehrerin tätig. Ich unterrichte an einer Hochschule in Frankfurt, an der Volkshochschule und im Privatunterricht. Und ich bin froh und glücklich meine große Leidenschaft für dieses wunderbare Land und seine tolle Sprache jeden Tag weitergeben zu können.

Zwischen roten Toren an einem Schrein
Beim Spielen der Koto, der japanischen Zither

Link zum Rheingau Echo:

https://www.rheingau-echo.de/nachrichten/vermischtes/reisen-erleben/land-aufgehenden-sonne-id67852.html

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Pia

    Sehr spannend! Da hat man direkt selber Lust, nach Japan zu reisen. Und deine Kimonos sind so wunderschön!

    1. Samira

      Liebe Pia, vielen Dank! Ich liebe Kimonos. Du musst unbedingt auch mal einen anprobieren, wenn du in Japan bist!

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